Isola delle Rose

    Rudy Neumann und Freunde
    © Collezione privata

    Es ist die unglaubliche Geschichte einer Insel, die es nur 55 Tage lang gab, und sie handelt von dem italienischen Ingenieur namens Giorgio Rosa und seinem Traum von Freiheit. Mit der Unterstützung vieler gelang es ihm, seine visionäre Idee zu verwirklichen – trotz des Widerstands des italienischen Staates. Wir hatten die Ehre und das große Vergnügen, Wolfgang Rudy Neumann zu treffen, einen der Protagonisten und wenigen noch lebenden Zeitzeugen dieses außergewöhnlichen Projekts (die deutsche Fassung des Interviews finden Sie weiter unten). Die Roseninsel diente auch als Inspiration für einen Film, den man nicht verpassen sollte: Zwar gibt er nicht jedes Detail originalgetreu wieder, doch er fängt auf wunderbare Weise die rebellische Atmosphäre der späten Sechzigerjahre vor der Küste Riminis ein. Den Artikel zum Interview, „L'isola della libertà” von Salvatore Viola, finden Sie in der ADESSO-Ausgabe 8/25.

     

    Deutsche Fassung

    In den 1960er-Jahren hat der Ingenieur Giorgio Rosa aus Bologna einen großen Traum von Freiheit. Um ihn zu verwirklichen, beschließt er, sich eine eigene Insel zu bauen.

    So entsteht vor der Küste von Rimini, aber in internationalen Gewässern, eine etwa 400 Quadratmeter große Betonplattform, die auf den Namen „Roseninsel“ getauft wird.

    Am 1. Mai 1968 erklärt Giorgio Rosa die Insel für unabhängig. So entsteht die Esperantistische Republik der Roseninsel. Sie hat eine Amtssprache – Esperanto –, eine Flagge und sogar eine eigene Währung.

    Doch der Traum währt nur kurz. Die italienische Regierung reagiert und besetzt die Insel am 26. Juni. Wenige Monate später, am 13. Februar 1969, wird sie von der Marine zerstört.

    Salvatore Viola: Wir befinden uns Ende der 60er-Jahre – es sind die Jahre des Protests, der Fantasie an der Macht, eine Zeit, in der für die Jugend alles möglich scheint. Im Mai 1968, während in Paris die Studenten sich darauf vorbereiten, auf die Straße gehen, wird elf Kilometer vor der Küste von Rimini auf einer rund 400 Quadratmeter großen Betonplattform die Flagge einer neuen unabhängigen Nation gehisst: der Insel der Rosen. Die Mikronation, die Italien 55 Tage lang in Aufruhr versetzte. Diese Geschichte klingt wie aus einem Roman – ist aber wahr. Und sie wird nicht von mir erzählt, sondern von einem der Protagonisten: Wolfgang Rudy Neumann. Willkommen, Herr Neumann.

    Rudy Neumann: Danke. Guten Tag.

    Salvatore Viola: Ich weiß, es ist schwer, das in wenigen Minuten zu erzählen, aber möchten Sie uns Ihre Geschichte schildern? Was war die Insel der Rosen – und wie sind Sie dort gelandet?

    Rudy Neumann: Soll ich erzählen, wie ich dorthin gekommen bin oder warum überhaupt... Mein Grund, sie kennenzulernen, war, dass ich mich auf ein Wasserski-Rennen vorbereitet habe – ein Rekordrennen von Pula nach Cervia. Ein Rennen, bei dem auch andere Wasserskiläufer aus Nordamerika, Südafrika, ja sogar aus Australien, aus der ganzen Welt teilnahmen. Und dabei sah ich zum ersten Mal eine neue Konstruktion mitten im Meer. Also bin ich näher herangefahren. Die Sekretärin Franca, die noch immer lebt...

    Salvatore Viola: Die Sekretärin von Giorgio Rosa?

    Rudy Neumann: Ja, ja, sie lebt noch in Rimini. Sie erlaubte mir, auf die erste Etage der Plattform zu kommen – so habe ich die Insel kennengelernt. Ich blieb eine Weile dort, und Franca bot mir einen Cappuccino an. So ging das wochenlang weiter. Irgendwann fragte mich Franca im Namen des Ingenieurs Giorgio Rosa, ob ich Interesse hätte, als Botschafter Deutschlands für die Insel zu fungieren – für zukünftige Handelsbeziehungen, Öffentlichkeitsarbeit usw.

    Salvatore Viola: Sie hatten also eine offizielle Rolle?

    Rudy Neumann: Ja, natürlich. Als man mich fragte, sagte ich sofort: Ja, gern! Ich war mir bewusst, dass ich so alle Kontakte mit den Journalisten nutzen konnte, die von außen, aus dem Ausland kamen.

    Salvatore Viola: Wir haben etwas zu Beginn nicht gesagt: Die Insel wurde vom Ingenieur Giorgio Rosa gegründet und gebaut, einem Ingenieur aus Bologna. Sie haben ihn persönlich kennengelernt?

    Rudy Neumann: Ja, ich habe ihn gesehen...

    Salvatore Viola: Was für ein Typ war Giorgio Rosa?

    Rudy Neumann: Ich hätte gesagt – wenn ich es nicht schon gewusst hätte – dass er ein Buchhalter oder Ingenieur war. Ein bodenständiger, ernsthafter Mensch, kein Spaßmacher. Ganz normal. Ich hätte nie gedacht, dass hinter dieser Konstruktion so eine Idee steckte. Ich habe später auch seine Familie kennengelernt, seine Frau, seinen Sohn. Wir haben uns viele Jahre lang gesehen, auch nachdem es die Insel nicht mehr gab.

    Salvatore Viola: Kommen wir zurück zu der Zeit der Insel. Nach ein paar Monaten, am 24. Juni – laut damaliger Berichte – wird die Plattform umzingelt, Polizei und Finanzwache kommen. Sie werden alle weggeschickt.

    Rudy Neumann: Es war absehbar. Jeder, der damals lebte, konnte sich denken, dass es irgendwann nicht mehr funktionieren würde. Der italienische Staat hätte das Projekt früher oder später gestoppt – wenn er die Insel nicht sprengt, dann würde er sie zumindest blockieren, damit niemand mehr hinauf kann. Es gab viele Aspekte … Aber ich glaube, Rosa war sich im Innersten bewusst, dass er am Ende nicht gewinnen würde.

    Salvatore Viola: Ihm war also klar, dass das Projekt enden würde?

    Rudy Neumann: Ja, es war seine Idee, sein Traum – aber schwer wirklich umzusetzen.

    Salvatore Viola: Hat sich in Ihrem Leben danach etwas verändert – wenn sich etwas verändert hat?

    Rudy Neumann: Ich würde sagen: Nichts Negatives – im Gegenteil, eher Positives. An dieser Aktion, dieser Initiative teilnehmen zu können … das waren sechs oder sieben sehr interessante Monate. Ich habe viele Menschen kennengelernt – aus der italienischen Politik, Diplomaten aus Frankreich, den USA, Südafrika. Es war für mich ein Gewinn, auch wirtschaftlich.

    Salvatore Viola: Also hatte es einen positiven Einfluss. Und in Deutschland – hatte diese Geschichte große mediale Resonanz?

    Rudy Neumann: Ja, die deutsche Presse… Ich habe sie noch teilweise – Berge von Zeitungsartikeln über das Ganze.

    Salvatore Viola: Noch ein paar Fragen, die nicht direkt die Insel betreffen. Wie lange waren Sie schon in Italien, bevor dieses Abenteuer begann?

    Rudy Neumann: Ich bin das erste Mal 1951 oder 1952 nach Italien gekommen – 1952 war mein erstes Jahr in Italien, in Riccione. Ich war damals in einer Hotelfachschule. Viele Hotels an der Adria waren neu und suchten erfahrenes Personal. Einige clevere Hoteldirektoren wussten, dass es solche Schulen in der Schweiz, Österreich und Deutschland gab. Also machten sie Angebote, um Studenten für die kommende Sommersaison einzustellen. So erhielt auch ich eine Einladung vom Hotel Vienna in Riccione, und 1952 verbrachte ich dort mein erstes Jahr.

    Salvatore Viola: Was hat Sie an Italien fasziniert? Wenn Sie eine Sache nennen müssten…

    Rudy Neumann: Vor allem der Rhythmus – die Lebensphilosophie.

    Salvatore Viola: Vielleicht eine naive Frage – aber denken Sie, so ein Experiment wie das von Herrn Rosa wäre auch in Deutschland möglich gewesen?

    Rudy Neumann: Ich glaube nicht – weder damals noch heute.

    Salvatore Viola: Ich denke, wir können hier Schluss machen. Ich danke Ihnen sehr – es war schön und interessant. Es war mir eine Freude und eine Ehre, mit Ihnen zu sprechen. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind und sich Zeit für uns genommen haben.

    Rudy Neumann: Danke.